Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Book Review 1979

GRAUMANN, C.F. (Hg.) 1978: Ökologische Perspektiven in der Psychologie.

Hans Huber, Bern. 298 S.

1979.05

@EcoPersp

8 /11KB  Last revised 98.10.31

Schweizerische Zeitschrift für Psychologie, 1979, 38(3), 260-261

© 1998 by Alfred Lang

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Es handelt sich um Referate, Korreferate, Repliken und gestrafft wiedergegebene Diskussionen einer Tagung, die im Herbst 1975 auf Schloß Heinsheim am Neckar stattgefunden hat. Nachdem im Jahr vorher die erste umweltpsychologische Tagung im deutschsprachigen Raum (am Salzburger Kongreß der DGfPs) überwiegend der Frage gewidmet worden war, ob Umweltpsychologie als eine neue Teildisziplin der Psychologie zu betrachten sei oder ob sie der Sozialpsychologie subsumiert werden könne (vgl. G. Kaminski, Ed.: Umweltpsychologie. Stuttgart, Klett, 1976), haben dieselben zusammen mit 5 neuen Symposiasten nun ein wesentlich tiefergehendes Gespräch geführt. Ein Ergebnis der Salzburger Tagung war immerhin gewesen, daß die Thematik offenbar auf zwei Ebenen angegangen werden muß: Umweltpsychologie als angewandte Disziplin zur Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der von Menschen gestalteten und verunstalteten Umwelt und das Problem des ökologischen Denkens in der Psychologie überhaupt. Die geschickt gewählte Grundidee des Symposiums war also, Vertreter verschiedener Forschungsrichtungen und Anwendungsbereiche der Psychologie zu bitten, aus dem Blickpunkt ihrer Spezialität heraus zu erörtern, was als ökologische Fragestellung betrachtet werde (Graumann, Vorwort). Korreferenten stand der Text dieser Stellungnahmen im Voraus zur Verfügung, so daß die Diskussion wenigstens teilweise weiter führt, als es die Atmosphäre des Augenblicks in der Regel erlaubt.

Der Band bringt ein Aufreißen von Perspektiven, Fragen, Möglichkeiten, Alternativen, Gegensätzen; eine Synthese zeichnet sich in keiner Weise ab, eine Bilanz kann also noch nicht gezogen, bzw. muß von jedem Leser aus seinem speziellen Gesichtspunkt und für den Moment gezogen werden. Wer realisiert hat, daß die Psychologie sowohl in der europäischen wie in der amerikanischen Tradition möglicherweise mit einer grundfalschen Begriffsbildung operiert und damit auf ein partielles Gegenstandsfeld orientiert ist -- gebannt auf das isolierte Individuum einerseits, auf willkürlich physikalistisch verstandene Reize und Reaktionen anderseits der wird sich mit den vorliegenden Texten eingehend auseinandersetzen wollen: und er kann dies mit Gewinn tun. Ich greife einige - meine - Aspekte heraus.

In seiner subtilen Weise zeigt Boesch -- in ganz wesentlicher Ergänzung von Piaget - einen der Objektivierung der Erfahrungen gegenläufigen Prozeß der Subjektivierung der Umwelt eines Individuums, einer Kultur auf und illustriert die Idee anhand von topographischen, kognitiven und symbolischen Ordnungen, insbesondere im Kulturvergleich aufgrund seiner thailändischen Erfahrungen. Ich habe vor Jahren -- allerdings bloß in sehr abstrakter Weise -- eine entsprechende Ausweitung psychologischen Denkens gefordert und von «Akkomodation der Umwelt an das Subjekt» sowie von «Assimilation des Subjekts durch die Umwelt» gesprochen; wir könnten nicht umhin, die Beziehungen zwischen Subjekt und Umwelt als wechselseitig zu betrachten (vgl. A. Lang: Über zwei Teilsysteme der Persönlichkeit. Bern, Huber, 1964, S. 48). Für Boesch stellt sich also die Frage des Gleichgewichts zwischen Person und Umwelt. Er vermag die Notwendigkeit einer neuen Psychologie deutlich zu machen, aber so wenig wie andere vor ihm vermag er aus dem Sprechen über eine ökologische Psychologie hinauszuspringen in die Realisierung einer solchen.

In einem klugen Korreferat, auch unter Bezugnahme auf entwicklungspsychologische Fragen, bringt Eckensberger nicht nur eine Menge Detailkritik, sondern es gelingt ihm auch, Boesch's Denkweise ein schönes Stück weit zu konkretisieren. Man müsse also die Organismus-Umwelt-Gegenüberstellung so weit als möglich aufgeben und als die eigentlichen Analyseeinheiten «Organismus-Umwelt-Verknüpfungen» sowohl praktisch-technisch wie erkenntnistheoretisch ansehen. Sämtliche Entwicklungstheorien erfüllten diesen Anspruch nicht, während sich Ansätze in der Ethologie, in Barkers «ecological psychology» und in kulturanthropologischen Theorien fänden. Etwas kursorisch versucht E. schließlich die neueren handlungstheoretischen Ansätze: Handlung als Analyseeinheit, das Individuum wie die Umwelt umfassend, für einen ökologischen Ansatz nutzbar zu machen. Ob das gelingen kann, solange nicht klar gesehen wird, daß die Rolle des einheit-stiftenden Beobachters expliziert werden muß, ist meine Frage. Ich vermisse hier eine gründliche Aufarbeitung des Denkens von K. Lewin (der zwar in dem ganzen Band recht häufig, aber doch recht oberflächlich erwähnt wird) und von J. von Uexküll (der nie erwähnt wird). Beide haben in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts schon erkannt, daß Wissenschaft dann entsteht, wenn Forscher auf eine bestimmte Weise an etwas vorher nicht Bestimmtes herantreten. Die Lösungsvorschläge von Barker (auf den naiv-natürlichen Beobachter zu vertrauen) und von Lewin selber (die Wahrnehmung des Individuums selbst einzubeziehen und so nur noch den postperzeptiven Lebensraum zu betrachten) scheinen so wenig weiter geführt zu haben wie Brunswiks Vorschlag zum Stichprobenziehen. Vielleicht nur deshalb, weil man immer noch nach einer einzigen Wahrheit sucht, die ja auch notwendig wäre zur Rechtfertigung einer einheitlichen Technologie.

Die Schwierigkeiten, die dem ökologischen Ansatz aus der Notwendigkeit zum Relativismus erwachsen, werden denn auch sehr schön deutlich in den Beiträgen der beiden angewandten Psychologen des Symposiums. J. Franke scheint den Relativismus akzeptiert zu haben; pragmatisch neigt er zur Absolutierung seines eigenen Forscherstandpunkts unter Lippenbekenntnis zur Möglichkeit anderer Standpunkte. Das macht ihn als einzigen unter den Symposiasten zu einem arbeitsfähigen Umweltpsychologen, der auch von Behörden und Politikern gehört wird; aber keiner der Symposiasten ist glücklich darüber, was Herr Franke tut, wohl eben weil es so beliebig, so vorläufig, aus dem und für das Hier und Jetzt gemacht und zukunftsblind und trächtig ist mit den bedenklichsten Nebenwirkungen. Wie Franke für den Bereich des Wohnens vorgeht, so ist die Ergonomie in der Gestaltung der Arbeit seit Jahrzehnten vorgegangen: das zeigt H. Schmale in seinem Beitrag auf. Ein kompetenter Kenner des Gebiets schüttelt sich erschreckt in der Rückschau über das Angerichtete. «Dieser Prozeß wissenschaftlich induzierter Umweltschädigung und die wissenschaftliche Reaktion, die Schäden wieder zu beheben -- mit dem Ergebnis neuer Folgeschäden, ist nachgerade typisch für die Reaktivität unserer Forschungsstrategie» (Schmale, S. 233). Die Ursache der Verheerung sieht Schmale im Fehlen einer ökologischen Orientierung; aber auch er sucht nach einer «ganzheitlichen Konzeption». Das steht im Widerspruch zu seiner klar formulierten Einsicht, daß der erste Schritt zu einer ökologischen Psychologie darin bestehe, die Annahme einseitiger Determination menschlichen Verhaltens durch Umweltreize aufzugeben. «Subjekt und Objekt sind im Begriff Umwelt gar nicht sauber voneinander zu trennen. Eine am Objekt ansetzende Ergonomie (oder Wohnbereichsgestaltung, A. L.) verändert auch das Subjekt. Also kann Umweltplanung nicht auf Ergonomie reduziert werden, sondern muß das Subjekt miteinbeziehen» (S. 244). Welches Subjekt? Jedes Individuum, jede Gruppe, jede Nation, die Menschheit? Da ist ja wohl keine Aussicht auf eine einheitliche Theorie noch auf eine einheitliche Technologie. Kein Wunder denn, daß die Mehrheit der Psychologen das ökologische Denken fürchten oder es ins Oberflächliche wenden!

A. L.

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