Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Dictionary Entry 1993

Sättigung (psych.)

1993.16

@SciHist

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In: Joachim Ritter & Karlfried Gründer (Eds., 1993) Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 8. Basel-Stuttgart, Schwabe. Pp. 1174-1175.(verfasst 1985)

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Sättigung hat in der Psychologie drei unterschiedliche Bedeutungen. a) Entsprechend der Alltagssprache führt der Vollzug eines Antriebs zu einem Zustand der Sättigung, insbesondere des gestillten Hungers. b) Der Phänomenraum der Farben ist durch die Dimensionen Farbton, Helligkeit und Sättigung (saturation) konstituiert, wobei Sättigung die Variation einer wahrgenommenen Farbe zwischen dem reinen Farbton und der Grauleiter (von schwarz bis weiss) bezeichnet. c) In Ausweitung der Bedeutung (a) haben die Berliner Gestalttheoretiker LEWIN und KÖHLER in ihren Feldtheorien Begriffe der psychischen Sättigung eingeführt, welche einerseits als Erscheinung (Sättigungseffekt) den veränderten Zustand (eines Teils) der psychischen Organisation nach wiederholtem oder andauernden Vollzug eines psychischen Prozesses bezeichnen und anderseits als ein Erklärungskonstrukt (Sättigungsprinzip) postulieren, dass psychische Prozesse allgemein die Tendenz haben, durch ihr Fortbestehen sich selbst vorübergehend zu hemmen. Kurt LEWIN (1) hat Sättigungseffekte bei Handlungen, insbesondere bei Vornahme- im Gegensatz zu Bedürfnishandlungen, untersucht. In der bekannten Untersuchung von A. KARSTEN (2) wurden etwa einfache Akte (z.B. ein kleines Dreieck zeichnen) bis zum Überdruss wiederholt, wobei sich Sättigung zunächst durch Variationen der Vollzugshandlungen und des Produkts (Umdeutungen, Gestaltzerfall usf.), dann durch emotionale Begleiterscheinungen (negativer Affekt bei Übersättigung) und schliesslich als Sinnverlust und Handlungsverweigerung manifestiert. Ermüdung kann als Erklärung ausgeschlossen werden, da dieselbe Handlung ohne weiteres fortgesetzt werden kann, wenn sie in einen andern Bedeutungskontext eingebettet wird. "Mitsättigung", d. die Betroffenheit anderer als in der Sättigungshandlung direkt beanspruchter psychischer Bereiche, erschien analog der "Ersatzbefriedigung" als ein aufschlussreiches Mittel zur Klärung des Aufbaus der psychischen Organisation (z.B. ihrer Differenziertheit). Wolfgang KÖHLER (3) hat Sättigung im Bereich der Wahrnehmung (Kippfiguren, figurale Nachwirkungen) untersucht (4). Als verbale oder semantische Sättigung wurde der erlebte bzw. in der Sprachproduktion manifest werdende Bedeutungswandel beim vielmals wiederholten Aussprechen eines Wortes bezeichnet. Auf Sättigungseffekte und -prinzip wurde auch in vielerlei anderen Zusammenhängen hingewiesen, so bei Fehlleistungen, beim Stilwandel, bei der "spontanen Alternation" der Ratte im T-Labyrinth (6) u.a.m. In der Verhaltenstherapie wird Sättigung als therapeutische Technik eingesetzt. Die Verwandtschaft mit den Konzepten der Adaptation und der Habituation ist offensichtlich, wurde aber bisher nicht systematisch geklärt.

Anmerkungen: (1) LEWIN, K.: Verhalten und Entwicklung als eine Funktion der Gesamtsituation. (Original 1946). In: Kurt-Lewin-Werkausgabe, Band 6, 375-447. Bern/Stuttgart, Huber/Klett-Cotta, 1982. (2) KARSTEN, A.: Psychische Sättigung. Psychol. Forschung 10 1928 142-254. (3) Gestalt psychology. New York, Liveright, 1929. ders.: Dynamische Zusammenhänge in der Psychologie. (Original 1940). Bern, Huber, 1958. (4) vgl. SEAMAN, J.D.: Wolfgang Köhler's satiation theory of figural aftereffects. Diss.Abstr.Intern. 44(8-B) 1984 (Febr.). (5) LAMBERT, W. & JAKOBOVITS. L.A.: Verbal satiation and changes in the intensity of meaning. J. of experimental Psychol. 60 1960 688-699. (6) GLANZER, M.: Stimulus satiation: an explanation of spontaneous alternation and related phenomena. Psychol. Review. 60 1953 257-268.

Alfred Lang

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