Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Conference Presentation 1986

Der Griff des Binärsystems nach der Seele --

"Künstliche Intelligenz "und Psychologie

1986.02

@HumComp @EnvPsy

26 / 42KB  Last revised 98.11.01

Kurzvortrag im Collegium Generale der Universität Bern, 24.2.1986

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt

   

AKT 1: PSYCHO-LOGIK: psychologische und logische Prozesse

AKT 2: LEISTUNGEN von AI als Emulatoren, Konkurrenten von menschl. Intelligenz

AKT 3: REFLEXION von AI auf PSYCHE: Information processing als Modell für die Psychische Organisation

AKT 4: Durchsetzungsversuche und Verweigerung der Ratio

AKT 5: Offen: entweder Verameisung des Menschen oder Dinosaurier-Katastrophe?

  


 

"Künstliche Intelligenz" lässt sich als Drama in fünf Akten sehen. Ich möchte Ihnen heute die ersten drei Akte erzählen.

Es ist ein Drama über "homo sapiens", den denkenden, intelligenten Menschen, und eines der Werke seiner Kunst, seines Könnens, seines Machens, nämlich den Computer und was ihm vorausgeht. Wie viele grossen Dramen der Weltliteratur, beruht es auf wirklichen Begebenheiten und ist doch ein inneres Drama. D.h. der Gegenspieler des Protagonisten bekommt zwar eine äussere Gestalt, ist aber in Wirklichkeit die gespaltene Seele des Protagonisten selber. Mein Drama ist also im Grunde reflexiv und könnte auch heissen: wie sich die Seele den Computer baut und dieser auf die Seele zurückgreift.  

Meine Dramaturgie läuft etwa so:

1. Akt, die Exposition der Charaktere: Der Protagonist ist der Mensch, dieSeele, etwas neutraler: die psychische Organisation. Dieser "erfindet" sich einenGegenspieler: den Geist, die Ratio, die Logik, vereinfacht: das Binärsystem. Anhand von Beispielen möchte ich Logik und Psychologik aufzeigen: Gleichheit und Ähnlichkeit, Ortsadressierung und Inhaltsadressierung.

2. Akt, die Entwicklung der Charaktere oder der Welt Lauf: Siegeszug des Binärsystems im Computer, Staunen der Seele, Faszination und Angst. Die Vorzüge der Ein-eindeutigkeit und die allmähliche Verdrängung andersartiger Information.

3. Akt, die Verstrickung der Charaktere oder die Dinge spitzen sich zu: das Binärsystem wird auf seinen Ursprung, die Seele, angewendet. Wenn man aber etwas erkennen will, dann dürfen die Erkenntnismittel nicht ein Bestandteil des zu Erkennenden, sondern sie müssen umfassender sein.

Den 4. und 5. Akt muss ich Ihnen vorenthalten, weil sie uns erst noch bevorstehen.

 

 

AKT 1: PSYCHO-LOGIK: psychologische und logische Prozesse

"INTELLIGENZ" oder Doppelbedeutung von AI: technische Leistung und psychologisches Modell

In der Bezeichnung "Künstliche Intelligenz" meint "künstlich" einfach menschgemacht, (Kunst)handwerk; der Ausdruck "Intelligenz" ist aber irreführend. (Er wurde übrigens von John McCarthy, dem Konstrukteur von LISP, gewählt, um von der Rockefeller-Stiftung Geld für die Dartmouth-Konferenz 1956 zu erhalten.)

Der Ausdruck "Intelligenz" weist an der Oberfläche einfach darauf hin, dass menschgemachte Maschinen Leistungen erbringen, die man bisher üblicherweise nur von Menschen erwartet hat. Dabei stellt man sich Menschen als intelligent vor, in allen Graden, von dumm bis gescheit. Das ist KI als Technik: zu den mechanischen Maschinen treten informationsverarbeitende Maschinen und deren Kombinate.

Der Ausdruck "Intelligenz" hat dann aber Zusatzbedeutung: Wenn Maschinen intelligente Leistungen erbringen, dann müssen sie auch selber so etwas wie intelligent sein. Ist dann nicht das Verfahren, durch das sie intelligente Leistungen vollbringen, eine Art Modell des Verfahrens, durch das Menschen intelligent sind? Damit wurde KI (oder gewisse Teile davon) zu einer psychologischer Theorie. Gewiefte Publizisten haben vom Bewusstsein der Maschinen geschwärmt, Science Fiction Autoren haben das dankbare Thema aufgenommen, einige Wissenschaftler haben sich faszinieren lassen - mehrheitlich Amateurpsychologen und nicht selten Psychologen und Neurophysiologen, die KI-Projekte wegen der eventuellen Nützlichkeit bereitwilliger finanziert bekamen als traditionelle Grundlagenforschung.

Im Antrag an die Rockefeller-Stiftung für 1956 hiess es: "... to proceed on the conjecture that every aspect of learning or any other feature of intelligence can in principle be so precisely described that a machine can be made to simulate it" (nach McCORDUCK 1979.93). Natürlich schockt diese Vorstellung den Normalbürger, seine Vorstellungen von Würde und Einmaligkeit des Menschen in der Schöpfung. Noch schärfer ist eine neuropsychologische Variante: der Geist sitzt im Hirn und das Hirn ist nichts anderes als eine fleischerne Maschine, sagte der AI-Papst Marvin Minsky. Aber lassen wir offen, ob AI die Intelligenz, den Geist bloss abbilden=simulieren soll oder ob sie ihn ist, wie der englische Publizist Geoff SIMONS behauptet (Are Computers alive? Harvester Press, 1983).

 

PSYCHISCHE ORGANISATION als Oberbegriff für Intelligenz, mit Differenzierungen

"Intelligenz" steht für innerpsychische Prozesse, für das was zwischen der Wahrnehmung einer Situation und dem angemessenen Handeln geschieht. Einiges davon erleben wir vermutlich als Denken, Erinnern, Vorstellen, Erwägen, Planen, auch Fühlen, Bewerten, Entscheiden usf.

Aber es ist mehr in dem System, als wir erleben können. Die Psychologie hat sich zur Aufgabe gemacht, eine vollständige Konzeption dieses komplexen Systems bei höheren Lebewesen, insbesondere beim Menschen, zu formulieren.

Eine grundlegende Feststellung ist dabei, dass diese Systeme eine ihnen eigene Repräsentation der sie umgebenden Welt aufbauen. Das ermöglicht ihnen eine flexible Anpassung an die umgebende Welt und darüber hinaus eine gewisse Eigenständigkeit. Es sind also nicht Automaten, die genau vorhersagbar die Schokolade herausgeben, wenn man am bestimmten Ort seinen Franken hineinsteckt. Sondern sie bringen den Input (blitzschnell) mit ihrer bisherigen Kenntnis ihrer Lage in der Welt in Beziehung und antworten oder agieren (in der Regel) sinnvoll und angemessen in bezug auf die Welt und konsistent in bezug auf sich selbst, ja sogar in einem gewissen Ausmass unter Berücksichtigung ihrer künftigen Lage in einer künftigen Welt. Das alles wirkt auch auf sie selbst zurück; und nicht selten ergreifen sie von sich aus Initiativen.

Nun sind zwei Dinge nicht zu übersehen: Erstens, dass diese innere Repräsentation der Gesamtlage ein Hirn, insbesondere ein Grosshirn voraussetzt, m.a.W. dass die psychische Organisation eine Errungenschaft der Evolution darstellt, welche eine viel direktere Eingebundenheit der niederen Tiere in ihre Umwelt auf der Basis von Reflexen und Instinkten ergänzt und teilweise ablöst.

Zweitens, dass diese inneren Repräsentationen immer nur Teilrepräsentationen der Gesamtlage sein können, unvollständig, hochselektiv, insbesondere auch von den Eigenheiten des repräsentierenden Systems mitbestimmt, gewissermassen in deren je eigenen Sprache geschrieben, Stichwort: Eigenständigkeit.

 

KOGNITIVE PROZESSE die inneren Versuchshandlungen in der Gesamtlage-Repräsentation

Solche Systeme sind nun in ihrem Verhalten nicht mehr einfach an die unmittelbar gegebenen Bedingungen gebunden, sondern sie agieren gewissermassen aus einer Gesamtübersicht. Sie können, bevor sie handeln, in Frage kommende Akte oder Operationen in der inneren Repräsentation ausführen und dort, in einer Art Modellwelt, die resultierenden Effekte beobachten und beurteilen, um dann für das nach aussen wirksame Agieren die günstigsten Varianten zu bevorzugen.

Einiges davon mag uns als Denken, Vorstellen, Fühlen im Erleben erscheinen; aber vergessen wir nicht, dass die psychische Organisation viel umfassender ist als das Erlebte. Dennoch hat sich eingebürgert, von diesen inneren Versuchshandlungen als von den kognitiven Prozessen zu sprechen. Ein solches System erscheint uns "intelligent", wenn es die relevanten Zusammenhänge berücksichtigt; "dumm" wenn es unangemessene äussere Handlungen vorbereitet, sei es infolge verkehrter Auswahl irrelevanter Teile der Repräsentation, falscher Operationen oder was immer. Dass man zumeist hinterher klüger ist als zuvor, heisst nichts anderes, dass in der Folge von Handlungen häufig eine Bereicherung der inneren Repräsentation erfolgt, die jetzt zu anderen Urteilen, Operationen, Effekten führen würden.

So gesehen sind psychische Organisationen informationsverarbeitende Systeme, und ihre Strukturähnlichkeit zu Computern liegt auf der Hand: Inputsubsysteme zum gewinnen von Information, Lagersysteme (Gedächtnis) für die hereingenomene Information und für die Prozeduren, die darauf angewendet wurden oder werden können, Aufbereitungssysteme für Reorganisation der Gedächtnisinhalte und für die Steuerung des Output in der den Exekutivorganen angemessenen Form und zur passenden Gelegenheit usf. Wichtige Eigenheiten solcher Systeme sind ihre Entwicklung oder das Lernen aus der bisherigen Erfahrung bzw. das Antizipieren bzw. Anzielen von künftigen möglichen Zuständen.

Die AI-Leute beanspruchen mit einem gewissen Recht, Intelligenz ausserhalb von Lebewesen geschaffen zu haben, wenn ihre elektronischen Maschinen dieserart mit Information umgehen und insbesondere dieses zeit- und raumübergreifende Auswerten von Erfahrung manifestieren.

 

INFORMATION

Damit stellt sich die Frage, was mit dem Ausdruck "Information" gemeint ist, mit Repräsentation der Gesamtlage und den darauf bezüglichen Akten und Operationen.

Hier muss ich nun eine Vogelschau-Kulturgeschichte evozieren, und insbesondere die abendländische Welt (Antike und Neuzeit, zusätzlich einige andere Hochkulturen) mit der Herausbildung des rationalen Denkens und der zweiwertigen Logik besonders herausheben. Unser Protagonist, die psychische Organisation, findet in sich und kultiviert sich einen "Gegenspieler", das Binärsystem.

 

Sprache als Repräsentation

Es spricht sehr vieles dafür (und ich werde gleich einige Indizienbelege geben), dass die innere Repräsentation der Gesamtlage in jedem einzelnen Menschen eine verhältnismässig diffuse und und bewegliche ist; sie ist aber nie als solche zu beschreiben, sondern immer nur in ihren greifbareren Effekten. Wenn wir sie hervorholen, z.B. andern Menschen zugänglich machen wollen, brauchen wir ein Medium. Neben Bildern und andern Kompositionen haben wir das Medium Sprache herausgebildet. Zusätzlich zu den (und gewiss auch mit Rückwirkungen auf die) inneren Repräsentation tritt also eine äusserbare Repräsentation, ein zweites Zeichensystem, das unter anderem eine bedeutsame Funktion beim Zusammenleben von mehreren Menschen gefunden hat. Dass dieses zweite Zeichensystem intern auch wiederum seine Repräsentation in Wechselwirkung mit der ersten bekommt, kompliziert freilich die Verhältnis ungemein.

Im Verhältnis zur ersten inneren Repräsentation ist die Sprache schon recht verfestigt, die Zuordnung des Zeichens zum Bezeichneten tendiert zu Ein-Eindeutigkeit. In den natürlichen Sprachen in Grenzen, in systematisierten Sprachen (Rechtssystemen, Wissenschaften usf.) schon recht viel mehr, in rein formalen Sprachen (Mathematik, Logik) vollständig. Wenigstens idealiter; nicht immer realiter, wie Missverständnisse auch unter Wissenschaftlern zeigen. Was immer aber klar und distinkt ausgedrückt werden kann (DESCARTES), muss dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten gehorchen, kann den Operationen einer zweiwertigen Logik unterzogen werden, muss seinen Platz in einer im Binärsystem repräsentierbaren Hierarchie aller Dinge finden, kann also im Computerjargon mittels einer geeigneten Folge von Nullen und Einsen repräsentiert werden. Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.

Wie der impertinente Spruch durch seine überflüssige Wiederholung und pikanterweise mit einem durch und durch logisch klingenden Satz andeutet, ist die psychische Organisation nicht von Hause aus ein Binärsystem. Das möchte ich Ihnen mit zwei ausgewählten Unterschieden zwischen Binärsystem und Psychosystem deutlich machen.

 

Ähnlichkeit vs. Gleichheit in Wahrnehmung und Denken

Mein erstes Beispiel betrifft Wahrnehmen und Denken, die Feststellung von Ähnlichkeit und Gleichheit. Die psychische Organisation wäre unfähig zu existieren, wenn sie jedes Ding der Welt, von dem sie Kenntnis nimmt, als solches repräsentieren würde. Dann wäre sie ja eine Verdoppelung der Welt, und das kann nicht gehen; Vereinfachung, Abstraktion, Reduktion ist zwingend. Gleiches kommt mit Gleichem in eine Kategorie. Eine Rose ist eben eine Rose, und das im Unterschied zu allen Nicht-Rosen. Ein Kind ist ein Kind und nichts sonst. Eine Frau, ein Tamile, dei Intelligenz, usf. Sie können Ihre Definitionen einsetzen. Allerdings müssen wir für klare Kategorien den Preis zahlen, dass wir von allen Eigenschaften, die die Dinge auch noch haben, absehen müssen, wo kämen wir sonst hin. Auch wenn wir gleichzeitig mehrere Eigenschaften berücksichtigen: Logische Kategorien haben scharfe Grenzen, jedenfalls im Denken; und die stülpen wir dann über die Wirklichkeit, ob sie will oder nicht.

In der Psychologik ist das nicht so. Da scheint es, dass die Dinge Höfe haben und an den Grenzen in die Nachbardinge übergehen. Es ist logisch unsinnig, von einem idealen Kind zu sprechen; entweder Kind oder nicht, aber nicht mehr oder weniger Kind. Wenn Sie sich genau beobachten, werden Sie sogar finden, dass Sie Ihr Idealkind, Ihre Idealfrau oder Ihren Idealmann, noch gar nie gesehen haben: ein Phantom, aber das Zentrum Ihres "psychologischen Begriffs". Alle Kinder oder Frauen sind einander ähnlich, aber gewiss nicht gleich, wie die logische Kategorie es will.

Nun werden diejenigen unter Ihnen, die sich mit Computern schon beschäftigt haben, wissen, dass eine für die menschliche Wahrnehmung und das Denken primitive Kategorie, die Ähnlichkeit, im Computer nur mit grösstem Aufwand und nur in mässiger Approximation hergestellt werden kann. So wird man etwa aufwendige Merkmalslisten herstellen und abchecken müssen, und dabei willkürliche Festlegungen machen müssen betreffend Gewichtungen und Schwellenwerten, die man zwischen Verschiedenheit, Ähnlichkeit und Gleichheit ansetzen will. Die Psychologik, sage ich sehr schlagwortartig, ist zumindest dreiwertig; Und tatsächlich ist eine Rose eine Rose, aber sie hat zugleihc Dornen. Zugleich lieben und hassen ist durchaus möglich. Anderseits ist im Computer kaum etwas einfacher, als die Gleichheit zweier Informationen im gleichen Zeichensystem festzustellen.

 

Inhalts- vs. Ortsadressierung im Gedächtnis

Ich möchte betonen: es geht mir nicht darum, psychologisches und logisches Prozedieren gegeneinander auszuspielen, denn die Logik ist ja ein Kind der Psychologik; auch sie ist eine Errungenschaft der biologischen Evolution und ruht zunächst auf Hirnprozessen auf. Sie ist eine Art freiwillige Horizont-Einschränkung der Psyche. Diese bezahlt dafür einen Preis und erhält einen Lohn. Problematisch finde ich nur die Verabsolutierung und Verherrlichung der Rationalität, die jetzt in unserer Zivilisation stattfindet. So wird halt etwa ein Mensch durch Zuordnung zu einer Kategorie und Feststellung der Gleichheit mit allen andern Angehörigen dieser Kategorie schon recht sehr vergewaltigt. Dass damit auch viele Vorteile verbunden sind, ist wohl jederman klar. Ich bin nur nicht so sicher wie viele, wie weit wir gehen sollen. Wir werden wohl, wie schon angedeutet, erst später klüger sein, am Ende des fünften Aktes vielleicht; aber so weit sind wir noch nicht.

Ein zweites Beispiel betrifft das Gedächtnis. In der Enzyklopädie der menschlichen Ignoranz steht unsere Unkenntnis des Gedächtnisses weit oben. Ich meine nicht seine Vergesslichkeit, die ist ein Segen; sondern dass wir keine blasse Ahnung darüber haben, wie es funktioniert, wie seine Inhalte codiert und über die Zeit behalten, wie sie reaktiviert und nutzbar gemacht werden. Aber eines scheint mir sicher: eine Form der Ortsadressierung des Gedächtnisses wie im Computer ist nicht der Fall. Im Computer bekommt bekanntlich jedes codierte Item, d.h. ein für die behaltene Sache stehendes Symbol, eine Adresse wie ein Buch in der Bibliothek seinen Standort. Und wehe wenn es irrtümlich falsch eingeordnet wird; es ist bis zu einem glücklichen Zufall verloren, wenn die systematische Suche zu viel kostet. Im Computermemory gibt es nur entweder die Kenntnis der Adresse oder die systematische Suche. Jeder Inhalt des psychischen Gedächtnisses jedoch scheint ein Umfeld zu implizieren von Inhalten, die damit irgendetwas zu tun haben. Dies gibt dem menschlichen Gedächtnis eine innere Dynamik, welche der Lagerhausidee spottet. Eine Wortmarke dafür ist Inhaltsadressierung (natürlich als Gegensatz zu Ortsaddressierung, Computerjargon!).

 

 

AKT 2: LEISTUNGEN von AI als Emulatoren, Konkurrenten von menschl. Intelligenz

Kulturgeschichte der RATIO

Der zweite Akt ist ein langer Akt, aber ich kann ihn kurz zusammenfassen, weil Sie alle grösste Teile davon kennen und einige neueste Auftritte eben von Herrn Bunke so kompetent dargestellt worden sind.

Im wesentlichen handelt es sich um die Kulturgeschichte des abendländischen Denkens, von der Antike bis heute. Der Fokus ist auf das Hin und Her oder Auf und Ab zwischen Phasen, die je nach Betrachtungsweise unterschiedlich genannt worden sind: etwa Klassisch vs. Romantisch, Apollinisch vs. Dionysisch, Ordnung vs. Aufruhr, Geist vs. Seele, Wissenschaft vs. Kunst.

Dass diese Auseinandersetzungen auch sehr viel mit Macht und Unterwerfung zu tun haben, sei angedeutet, aber nicht ausgeführt. Mir scheint, dass die Sehnsucht nach Eindeutigkeit und sauberen Regeln des Denkens, des Handelns, der Moral gewiss ihre Ursprünge in innerpsychischen Befindlichkeiten hat, ganz wesentlich jedoch als Versuch der Bewältigung des Zusammenlebens in hoher Dichte eine solche Stärke gefunden hat.

Die technische Zivilisation im Abendland ist wohl der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung. Und wir tun gut daran, die Kontinuität dieser Entwicklung, z.B. seit Descartes, zu sehen. Es ist überhaupt nicht neu, dass phasenweise mal die Vorteile, mal die Nachteile der Errungenschaften rationalen Denkens und Machens betont werden, dass Faszination und Angst einander nicht nur ablösen, sondern auch im einzelnen Betroffenen nicht selten miteinander verbunden auftreten.

Eine der eindrücklichsten Geschichten des Eroberungszuges der Ratio ist die Rechtsgeschichte. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu können, möchte ich den Segen betonen, den uns das Recht und seine Durchführung für ein lebenswertes und sicheres Leben gebracht haben. Gleichzeitig muss aber auch das Risiko genannt werden, dass uns die Verdichtung des Rechtswesens zu ersticken droht. Die zweite und noch umfassender wirksame Kampagne lässt sich unter dem Stichwort "Wissenschaft" und durch sie ermöglichste Technik führen. Nebenbei bemerkt: Sie sehen, dass ich durch meine skeptische Haltung mich als Wissenschaftler recht sehr relativiere.

 

EXPERTENSYSTEME als derzeit weitestgehender Ausdruck selbständiger Rationalität

Expertensysteme sind ein Ausdruck unbändigen Expansionsstrebens des rationalen Denkens. Wir haben so viel Wissen erzeugt, dass kein Einzelner mehr auch nur ein grösseres Teilgebiet überschauen kann. Einfach weil die Gedächtnis- und Kombinationskapazität der psychischen Organisation nicht ausreicht und die Vieldeutigkeit der Psychologik Unsicherheiten bringt. Konsequenterweise musste man also die Wissensbasis aus der Psyche hinausverlegen, externalisieren. Das geschieht in Büchern, Dateien usf. schon lange, was das simple Abspeichern betrifft. Die freie Benutzung blieb dem Menschen überlassen, der so viel Psychologik dazu tun konnte wie er wollte. Neu ist der Einsatz des Computers auch für die Kombinatorik. Es wird also mehr von unserem Wissen gewissermassen "sozialisiert", allgemeinverbindlich werden.

 

APPROXIMATION ALS TÄUSCHUNG Binär kann alles andere approximiert werden

Der zweite Akt stellt also die Entwicklung der Charaktere dar und ihre wechselseitige Auseinandersetzung und Ansprüche. Es ist evident, dass die Psychologik sich meistens eher in der Defensive befindet. Die Ratio ist arroganter im Auftreten; ihre Errungenschaften sind wirklich nicht zu übersehen und nicht zu verachten. Immerhin versuchen viele gebildete Menschen, doch ein Stück weit nach beiden Seiten zu leben, und wenn es auch nur durch Abschottung von Sektoren wäre: Denken für die Arbeit, Fühlen und Kunst für Feierabend und Urlaub.

Einem möglichen Missverständnis möchte ich noch vorbeugen, nämlich die Gleichsetzung von Logik mit Digital- und Psychologik mit Analog-Prozessen. Auch Analogsysteme sind natürlich rational. Man kann wirklich alles, was klar und deutlich ausgedrückt werden kann auch in einem digitalen Prozess, also im Binärsystem, beliebig genau approximieren. Ich lege dennoch Wert auf die Tatsache, dass auch die beste Kopie nicht das Original ist.

 

 

AKT 3: REFLEXION von AI auf PSYCHE Information processing als Modell für die Psychische Organisation

AI ALS MODELL DER PSYCHE

Damit komme ich zum dritten Akt, dem interessantesten bis jetzt: die Dinge spitzen sich zu, der Gegenspieler rückt dem Protagonisten zu Leibe, das Binärsystem nimmt sich die Psychoe vor. Die Argumentation ist einfach, ich habe sie schon angedeutet. Wenn Maschinen Leistungen erbringen, die von menschlichen Leistungen nicht zu unterscheiden sind, dann stellen diese Maschinen so etwas wie Erklärungmodelle der Menschen dar. Die Maschinen hat man eigens gebaut; nichts versteht man sicherer, als was man nachbaut und es funktioniert. Die Menschen sind komplex und undurchsichtig; "Aufschneiden", Auseinandernehmen ist nicht nur unethisch, sondern zerstört sie in ihrem Funktionieren. Also ist das Bauen von Maschinen, das Schreiben von Programmen, die wesentliche menschliche Leistungen erbringen eine Methode par excellence, um den Menschen zu verstehen, jedenfalls zunächst was diese Leistungen, eben die sog. Intelligenz, betrifft. Die Psychologen, bei ihrem hohen Methodenbewusstsein ständig mit methodischen Schwierigkeiten kämpfend, haben eine neue via regia zu ihrem Gegenstand. Man vergisst leicht, dass man von den zwei zentralen Forderungen empirischer Methodik nur die erste erfüllt: Konsistenz; Realitätsadäquanz fällt, wie in den früheren Lehnstuhlpsychologien, wieder unter den Tisch.

Und in der Tat, viele von ihnen stürzen sich mit Begeisterung darauf, immerhin mit einem zeitlichen Verzug von 10 bis 15 Jahren. Aber so ab 1970 herum hat die Computer-Metapher in der Psychologie einen weltweiten Siegeszug angetreten.

 

AI-BESTIMMTE PSYCHOLOGIE

In erster Linie werden Denken und Problemlösen als Informationsverarbeitung nach dem Modell des Computers verstanden. Ebenso ist das Gedächtnis nun definitiv ein Lagerhaus von fixierten Items und ihren variablen Relationen. Dutzende, wenn nicht hunderte von Gedächtnistheorien werden formuliert und in Tausenden von Experimenten auf die Probe gestellt, um die Art und Weise der Relationen zwischen den Items zu spezifizieren; alle von ihnen haben als gemeinsame Basis die Metapher vom random access memory des Computers.

Endlich beschäftigt man sich ernsthaft mit dem Handeln; natürlich wird Handlen verstanden als das Ergebnis von hierarchisch aufgebauten und teilweise rekursiven, aber grundsätzlich sequentiellen Algorithmen, also analog den Computerprogrammen. Die neuen Theorien der Gefühle, die Theorien der Motivation werden zu Anhängseln der der Theorien der kognitiven Prozesse.

 

LOGISCHER FEHLER Erkenntnismittel muss weiter sein als sein Gegenstand

Der Bau der denkenden Maschine, die als Erkenntnismittel ihres Erbauers ausgegeben wird, der Griff des Binärsystems nach der Seele - man kann nun allerdings die Zirkularität nicht übersehen.

Kein Erkenntnismittel kann etwas anderes erbringen als es in sich selbst enthält. Mit Notwendigkeit muss also ein mit auschliesslich rationalen Mitteln beschriebener Mensch rationale Eigenschaften haben. Dann ist der Mensch nicht mehr von Maschinen zu unterschieden. Und gewiss nicht deshalb, weil er in Wirklichkeit eine Maschine wäre, sondern einfach deshalb, weil er sich zu seiner Beschreibung eines solchen Erkenntnismittels bedient. Etwas anders kann gar nicht herauskommen. Es ist die freiwillige Horizont-Einengung.

 

NUTZEN VON AI FÜR PSYCHOL Beispiele für Erkennntisgewinn

Ich möchte nun aber nicht falsch verstanden werden. So wichtig ich das Argument gegen die freiwillige Horizonteinengung halt und so problematisch ich die möglichen Folgen ihrer Durchführung einschätze, so möchte ich doch nicht versäumen auf die unmittelbare Nützlichkeit des maschinellen Denkens als Methode gerade auch in der Psychologie hinzuweisen.

Wir könnten eine beträchtliche Zahl von Beispielen aufzeigen, wo der Einsatz der unerbittlichen Logik des Computers Scheinlösungen von Problemen entlarvt. So wird gerade durch den Versuch, natürliche Sprache zu verstehen, zu übersetzen, deutlich, dass unser Verständnis der Sprache viel zu einfach war. Weizenbaums ELIZA zeigt gerade weil es einen zum Verwechseln echten psychotherapeutischen Dialog führt, wie wenig wir davon verstehen, weil hier (bewusst) mit so primitiven Mitteln gearbeitet wurde, dass niemand glaubt, sie bildeten innere Sprachverstehprozesse ab. Ähnliches wird m.E. mit den künstlichen Bild-Verarbeitungssystemen geschehen, die brauchbare technische Lösungen spezifischer Aufgaben erbringen (werden), aber deutlich machen werden, dass in der menschlichen Wahrnehmung noch etwas wirkt, was die auf die Eigenständigkeit des Wahrnehmenden verweist, und deshalb gerade nicht in einer Abbildherstellung sich erschöpft. Ähnliches gilt oder wird gelten für die Gedächtnisforschung, für das Motivationsproblem usf.

Auch die AI-Leute kennen ihre Grenzen, wie folgendes Zitat zeigt: "As anyone who has used one can attest, computers often create more problems than they solve. But for probing the issues of mind and thought, that is just what we need." SCHANK & HUNTER, Byte April 1985, p143.

Mich fasziniert die Welt der AI. Und es gibt keinen besseres Argument gegen ihren Absolutheitsanspruch als rationales Modell der Psyche als die Tatsache, dass diese Methode geradezu notwendig grandios intuitive Entwürfe herausfordert.

 

AKT 4: Durchsetzungsversuche und Verweigerung der Ratio

Dieser und der letzte Akt können leider erst in einigen Jahren bzw. Jahrzehnten geschrieben werden. Vorhersagen, wie es läuft, scheinen mir unmöglich. Sie würde nur von den Hoffnungen oder Befürchtungen des Schreibenden künden können. Dass früher oder später heftige Auseinandersetzungen, ja Kämpfe zu erwarten sind, wage ich jedoch zu behaupten.

 

AKT 5: Offen: entweder Verameisung des Menschen oder Dinosaurier-Katastrophe?

Gewiss wäre es auch heute schon möglich, eine Reihe der Kräfte, die in der einen oder der anderen Richtung ziehen und stossen werden, ausfindig zu machen und in ihrem Charakter und möglichen Potential zu bestimmen. Das kann aber nicht meine heutige Aufgabe sein.

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